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Edle Tropfen
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PCLife 01 | 2022
Mindestens 12 Jahre in alten Holzfässern gereift – auf dem warmen Dachboden anstatt im kühlen Keller gelagert. Nein, die Rede ist nicht von einem seltenen Wein, sondern von einem anderen edlen Traubensaft, der es in sich hat: Aceto Balsamico Tradizionale di Modena. Begleiten Sie uns in die Emilia-Romagna zum ältesten Hersteller des schwarzen Goldes und er- fahren Sie, was diesen Essig so kostbar macht.
Sengend heiß ist es im italienischen Sommer, als wir den Porsche auf dem Hof von Giuseppe Giusti in der Nähe Modenas abstellen. Eine junge Frau begrüßt uns auf Deutsch. Giulia heißt sie und fragt, ob wir ein wenig Zeit mitgebracht haben. Sie möchte uns durch die heiligen Hallen des traditionsreichen Familienunter- nehmens führen, uns das Museum, den kleinen Shop und freilich auch die Lagerstätten zeigen, in denen die edlen Tropfen hier reifen. „Zeit“, sagt Giulia, „ist auch die wichtigste Zutat für unseren Balsamico.“
Neben jeder Menge Zeit benötigt man zur Herstellung des Aceto Balsamico Tradizionale di Modena weiße Trauben und rote Trauben aus der Gegend rund um Modena – nur sieben Rebsorten sind dabei erlaubt. Natürlich sorgsam ausgewählt und jede Menge davon, schließlich ergeben 100 Kilo gerade mal einen Liter Balsamico. Im Herbst gelesen und behutsam gekeltert werden sie anschließend einen Tag lang zu Trauben- most verkocht. Gelagert wird dieser dann in der dritten wichtigen Zutat, in qualitativ hochwertigen Holz- fässern. Fünf Stück an der Zahl, von groß nach klein aufgereiht, werden mit dem Most befüllt und auf dem Dachboden gelagert. Die hier eingesetzten, unter- schiedlichen Hölzer geben dem Essig übrigens alle- samt besondere Eigenschaften mit auf den Weg: Kas- tanienholz – reich an Tanninen – verleiht die klassische braune Farbe, die Kirsche versüßt den Geschmack, der Wacholder unterstreicht die harzige Essenz und die Eiche bereichert das Aroma um den typischen Vanille- duft des Essigs.
TEXT: Derk Hoberg, Jessica Bachmann BILDER: Derk Hoberg; Giuseppe Giusti
„Nun heißt es erst einmal abwarten“, erklärt uns Giulia „Nach einem Jahr haben sich durch die warme Um- gebung hier oben im Speicher etwa fünf Prozent des Traubensaftes verflflüchtigt und die Fässer müssen auf- geschüttet werden.“ Der Mastro Acetiere (Essigmeister), füllt dafür das kleinste Fass mit einer Pipette aus dem nächstgrößeren Fass auf und immer so weiter, bis das größte Fass letztlich wieder mit neuem Traubenmost aufgefüllt wird. Einmal im Jahr passiert das bei den insgesamt 600 Fässern, die hier auf dem Dachboden im warmen Essigdunst lagern, bis nach mindestens 12 Jahren die Hälfte des nun fertigen schwarzen Goldes aus dem kleinsten Fass zum Verkauf abgefüllt wird. Die übrigen 50 Prozent des sirupartigen Essigs kurbeln den Gärprozess in einer neuen Fassreihe an, geben den wunderbaren Geschmack an neuen Traubenmost wei- ter und der langjährige Reifezyklus beginnt hier wieder von vorne. Bei der Familie Giusti nun bereits seit 1605 und mit Geschäftsführer Claudio Stefani Giusti inzwi- schen in der 17. Generation.
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